Was plant die Regierung in Sachen Pflege?

GroKo plant Pflegeoffensive: Kehrtwende oder Tropfen auf den heißen Stein?

»Konzertierte Aktion Pflege« und Sofortprogramm – GroKo-Pläne stoßen auf große Skepsis. Unkonkrete Ankündigungen und erste Schritte reichen nicht aus. Die Praxis fordert nun klares Bekenntnis zu Priorisierung und handfeste Lösungsansätze.

Guter Wille allein genügt nicht!

8.000 neue Stellen sollen laut Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD in der medizinischen Behandlungspflege in Pflegeheimen sofort geschaffen werden. Das sind im bundesweiten Durchschnitt 0,6 Stellen pro Einrichtung und maximal zehn Prozent der definierten Lücke von 80.000 bis 100.000 fehlenden Stellen – eine eher ernüchternde Aussicht.

»Die Politik hat eine Null vergessen«, lässt sich Prof. Christel Bienstein, Verbandspräsidentin des Berufsverbands für Pflegeberufe, DBfK, in der »Welt am Sonntag« zitieren. Schärfer reagiert Rolf Höfert, Geschäftsführer des Deutschen Pflegeverbands, DPV. »Wir brauchen keine Schönheitsreparaturen, sondern einen Neustart für die Pflege. Und vor allem brauchen wir Politiker, die unsere Forderungen hören und nicht im Nachhinein die unhaltbaren Zustände beklagen, die sie selbst zu verantworten hatten. Es kann nicht sein, dass wir mit 8.000 Stellen und netten Versprechen abgespeist werden.«

Seine Empörung lässt sich durchaus nachvollziehen. Die Hoffnung, dass die im Koalitionsvertrag formulierten »weiteren Schritte« zeitnah und zielgerichtet Abhilfe schaffen werden, gehört auf Basis der bisherigen Erfahrungen wohl tatsächlich eher ins Reich der Illusion. Denn nicht nur die Frage der Finanzierung bleibt im Koalitionsvertrag weitgehend unbeantwortet, auch die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal ist nach wie vor mangelhaft.

Und Besserung ist nicht in Sicht, schon gar nicht kurzfristig. »Pflexit« ist ein in der Branche fest etablierter Begriff für die Berufsflucht aus der Pflege. Motiviertes Personal wird »verheizt«, mangelhafte Bezahlung und fehlende gesellschaftliche Wertschätzung schrecken potenziellen Nachwuchs ab. Spätestens hier wird klar, dass es beim Pflegenotstand nicht fünf vor, sondern mindestens zehn nach zwölf ist.

1+1 = 3: Die Versäumnisse der Vergangenheit summieren sich

Im Januar 2018 wurde zum ersten Mal der »CARE Klima-Index« veröffentlicht. Die 2017 von dem unabhängigen Institut Psyma Health & CARE mbH in Kooperation mit dem Deutschen Pflegerat e. V. und der Schlüterschen Verlagsgesellschaft als Veranstalter des Deutschen Pflegetags konzipierte Erhebung unter insgesamt 2.016 Personen – darunter beruflich Pflegende, Vertreter/innen des Pflegemanagements, pflegende Angehörige, Patienten, Haus- und Fachärzte, Kostenträger und Verbände – bringt Erschreckendes zutage:

56 Prozent der Pflegeprofis sehen die gesellschaftliche Wertschätzung ihres Berufs als niedrig an. 91 Prozent der beruflich Pflegenden beklagen einen niedrigen Stellenwert der Pflege in der Politik. 59 Prozent sagen, das Pflegestärkungsgesetz II habe keinen positiven Einfluss auf ihren Arbeitsalltag, 19 Prozent berichten gar von Erschwernissen. Alle Befragten einschließlich der Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen und der Ärzte zu 51 Prozent beurteilen die Pflegequalität als mittelmäßig, 28 Prozent sogar als mangelhaft.

Dass sich die in Jahren aufgehäuften Missstände mit kurzfristigen Finanzspritzen nicht mal so eben aus der Welt schaffen lassen, gibt auch der Koalitionsvertrag von Union und SPD indirekt zu. Und ob dies der dort angekündigten »Qualitätsoffensive« gelingen wird, scheint zweifelhaft. Das Vorhaben wird nicht näher konkretisiert, die Ankündigungen bleiben vage.

Dabei liegen die wichtigsten »To dos« doch klar auf der Hand: Pflegeschüler dürfen nicht länger als billige Arbeitskräfte und Lückenfüller betrachtet werden, sondern müssen als Fachkräfte von morgen wertgeschätzt und entsprechend qualifiziert werden. Arbeitsaufkommen und Pflegequalität müssen von den zur Verfügung stehenden Ressourcen realistisch geleistet werden können. Fortbildungsangebote, eine dem Arbeitsumfeld angemessene Gesundheitsvorsorge, die Vereinbarung von Beruf und Familie – das alles sind keine überzogenen Ansprüche, sondern in anderen Berufsfeldern selbstverständlich eingeforderte Rahmenbedingungen für motivierte und leistungsfähige Fachkräfte. Im Pflegealltag wird all dies allerdings zunehmend zu Wunschdenken – mit den bekannten gravierenden Folgen.

Alle haben verstanden – doch wer handelt endlich?

Dass ein schnelles und konsequentes Handeln der Politik dringend gefragt ist, um den Fachkräftemangel in der Pflege nachhaltig zu beheben, um Berufsflucht zu stoppen und attraktive, gesetzeskonforme Arbeitsbedingungen durchzusetzen, scheint nach Verlautbarungen breiter Konsens zu sein.

Doch warum ist bisher so wenig passiert und das Wenige so halbherzig? Ideen und Konzepte gibt es viele. Warum werden sie nicht endlich finanziell solide ausgestattet und konsequent auf den Weg gebracht? Fehlt es der Politik am Ende doch an der Bereitschaft, sich die Dringlichkeit einzugestehen? Gibt es ihn wirklich, den klaren und uneingeschränkten Willen der Politik, die Problematik der Pflege anzuerkennen und konsequent Rahmenbedingungen zu ihrer Lösung zu schaffen?

Nun bietet der vorliegende Koalitionsvertrag durchaus vernünftige Ansätze, wie beispielsweise

  • präventive Hausbesuche zu fokussieren,
  • verbindliche Personalbemessungspläne einzuführen,
  • flächendeckend für eine gerechtere Vergütung der Pflegeberufe zu sorgen und
  • Gehaltsunterschiede zwischen Ost und West auszugleichen

– alles sicher Schritte in die richtige Richtung. Was die Ankündigung der Koalitionäre allerdings nach wie vor schmerzlich vermissen lässt, ist ein Gesamtkonzept. Ein Masterplan, der über ein gut gemeintes Drehen und Justieren einzelner Stellschrauben hinausgeht und der Dringlichkeit und Relevanz des Pflegenotstands in unserem Land endlich gerecht wird. Über Prävention zu sprechen, wenn ein ganzer sozialer Sektor zu kollabieren droht, ist ungefähr genauso hilfreich, wie einem Grippekranken ein gründlicheres Händewaschen zu empfehlen.

Was jetzt gefordert ist, ist eine schonungslose Offenlegung der Missstände unter Einbeziehung aller beteiligter Akteure und aller für die Pflege relevanten Regierungsressorts. Das Eingeständnis der Politik, dass Deutschland unter einem akuten Pflegenotstand leidet. Die Priorisierung dieser Problematik als gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die in einer schnell alternden Bevölkerung wie der unseren von Jahr zu Jahr mehr Bedeutung und Handlungsdruck entwickeln wird. Und last not least die Anerkennung der Tatsache, dass die Lösung dieses Problems Geld kosten wird. Viel Geld.

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