Pflegewissen für die Praxis

Berücksichtigung des Expertenstandards „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ bei der Wundversorgung

Die Zielsetzung des Expertenstandard „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ lautet: „Jeder Patient/Bewohner mit einer chronischen Wunde vom Typ Dekubitus, Ulcus cruris venosum/arteriosum/mixtum oder Diabetischem Fußsyndrom erhält eine pflegerische Versorgung, die seine Lebensqualität fördert, die Wundheilung unterstützt und Rezidivbildung von Wunden vermeidet“.

Das oben aufgeführte Ziel des Expertenstandards wird wie folgt begründet:

Chronische Wunden führen, insbesondere durch Schmerzen, Einschränkungen der Mobilität, Wundexsudat und -geruch, zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität. Durch Anleitung und Beratung der Patienten/Bewohner und ihrer Angehörigen zu alltagsorientierten Maßnahmen im Umgang mit der Wunde und den wund- und therapiebedingten Auswirkungen können die Fähigkeiten zum gesundheitsbezogenen Selbstmanagement so verbessert werden, dass sich positive Effekte für Wundheilung und Lebensqualität ergeben. Des Weiteren verbessern sachgerechte Beurteilung und phasengerechte Versorgung der Wunde sowie regelmäßige Dokumentation des Verlaufs die Heilungschancen.

Im Folgenden werden die Aussagen des Expertenstandards mit konkreten Erläuterungen und praktischen Umsetzungsempfehlungen anhand der fünf hinterlegten Kriterienbereiche dargestellt.

  • Fachwissen und Anamnese der chronischen Wunde
  • Erstellung eines Maßnahmenplans
  • Koordinierung der eingeleiteten Maßnahmen
  • Schulung, Beratung und Anleitung
  • Evaluation der Wundentwicklung und der Maßnahmen

Kriterienbereich 1: Fachwissen und Anamnese der chronischen Wunde

Standardaussagen:

  • S 1a: Die Pflegefachkraft verfügt über aktuelles Wissen und kommunikative Kompetenz, Menschen mit einer chronischen Wunde zu identifizieren und deren Einschränkungen und Selbstmanagementfähigkeiten sensibel zu erkunden.
  • P 1a: Die Pflegefachkraft erfasst im Rahmen der pflegerischen Anamnese bei allen Patienten/Bewohnern wund- und therapiebedingte Einschränkungen sowie Möglichkeiten des gesundheitsbezogenen Selbstmanagements.
  • S 1b: Die Einrichtung verfügt über eine intra- und interprofessionell geltende Verfahrensregelung zur Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden. Sie stellt sicher, dass pflegerische Fachexperten zur Verfügung stehen und hält erforderliche Materialien für Assessment und Dokumentation bereit.
  • P 1b: Die Pflegefachkraft holt eine medizinische Diagnose ein. Für das wundspezifische Assessment zieht sie, insbesondere zur Ersteinschätzung und Dokumentation der Wunde, pflegerische Fachexperten hinzu und bindet diese nach Bedarf in die weitere Versorgung ein.
  • E 1: Die Dokumentation enthält differenzierte Aussagen zu den Punkten:
    • Mobilitäts- und andere Einschränkungen, Schmerzen, Wundgeruch, Exsudat, Ernährungsstatus, psychische Verfassung;
    • Wissen der Patienten/Bewohner und ihrer Angehörigen über Ursachen und Heilung der Wunde sowie gesundheitsbezogene Selbstmanagementkompetenzen;
    • Spezifische medizinische Wunddiagnose, Rezidivzahl, Wunddauer, -lokalisation, -größe, -rand, -umgebung, -grund und Entzündungszeichen.

Der Expertenstandard sieht vor, dass die Pflegefachkraft im Rahmen der pflegerischen Anamnese eine Einschätzung zur Wundsituation vornimmt. Diese hat das Ziel, eine chronische Wundsituation frühzeitig zu erkennen sowie die mit der Wunde und Therapie einhergehenden individuell verschiedenen Alltags- und Lebenseinschränkungen zu erfassen. Hierzu muss die Pflegefachkraft über aktuelles Fachwissen verfügen. Der Expertenstandard formuliert hier vorrangig Wissen in den Bereichen:

  • Pathophysiologie von Dekubitalgeschwüren, Diabetischem Fußsyndrom, Ulcus cruris venosum, Ulcus cruris arteriosum und Ulcus cruris mixtum und der zugrunde liegenden Erkrankungen,
  • mögliche Auswirkungen der Wundsituation und Therapie auf die Bewältigung des individuellen Alltags und das Erleben der Erkrankung.

Welche der Einschränkungen auf den jeweiligen Betroffenen zutreffen, ist von der Pflegefachkraft sorgfältig zu erkunden. Sie benötigt deswegen nicht nur fachliche, sondern auch einen hohen Grad an kommunikativer Kompetenz. Erfahrungen zeigen, dass sich viele Betroffene durch Ärzte und Pflegende auf ihre Wunde reduziert sehen, während sie primär Wert darauf legen, als Mensch mit ihrer Erkrankung wahrgenommen zu werden. Mit jeder chronischen Wunde und der daraus resultierenden Therapie gehen oftmals körperliches Leid, Einschränkungen der Selbständigkeit und des sozialen Lebens sowohl der Betroffenen selbst als auch ihrer Angehörigen einher. Häufig ergeben sich daher Konsequenzen für die Lebensqualität durch:

  • wund- und therapiebedingten Schmerzen
  • Mobilitätseinschränkungen
  • Belastungen durch Wundgeruch und -exsudat
  • Leiden an Schlafstörungen, Energiemangel, Schwellungen der Beine
  • Wundverbände und Kompressionstherapie beeinflussen das Selbstwertgefühl bzw. das Körperbild

Betroffene reagieren auf diese Einschränkungen oftmals mit Bewegungs- und Aktivitätseinschränkungen, sozialem Rückzug und fühlen sich durch die Abhängigkeit von Hilfe belastet. Der Expertenstandard gibt kein fertiges Instrument vor, welches die relevanten Aspekte für die Anamnese beinhaltet, sondern verweist auf eine Kriterienliste. Diese Liste beinhaltet die zentralen Kriterien für eine differenzierte und systematische Einschätzung wund- und therapiebedingter Einschränkungen sowie vorhandener Selbstmanagementkompetenzen.

Der Expertenstandard empfiehlt neben diesen Kriterien noch zwei weitere Instrumente zur Selbsteinschätzung gesundheitsbezogener Lebensqualität sowie Selbstmanagementkompetenzen: den „Würzburger Wundscore“ sowie den „Wittener Aktivitätenkatalog der Selbstpflege bei venös bedingten offenen Beinen“.

Kriterien zur Einschätzung der wund- und therapiebedingten Einschränkungen sowie der Selbstmanagementkompetenzen von Patienten/Bewohnern und Angehörigen

1. Patienten-/Angehörigenwissen

  • zu Ursachen der Wunde
  • zur Heilung der Wunde und Vorstellungen
  • zur Wundheilungszeit
  • zu Symptomen (z.B. Geruch, Exsudat, Juckreiz)
  • zur Bedeutung spezieller Maßnahmen (z.B. Druckentlastung, Bewegung, Kompression)

2. Wund- und therapiebedingte Einschränkungen

  • Mobilitäts- und Aktivitätseinschränkungen
  • Schmerzen
    • Stärke (z.B. analog der visuellen Analogskala)
    • Schmerzqualität (z.B. brennend, stechend, krampfartig, klopfend)
    • Häufigkeit und Dauer
    • Situationen, die mit Schmerzen einhergehen (z.B. Verbandwechsel, Beine hochlegen, Bewegung)
    • Schmerzort (mit Körperskizze)
    • Erfahrungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Schmerzen
  • Abhängigkeit von personeller Hilfe
  • Schlafstörungen
  • Jucken und Schwellungen der Beine
  • Schwierigkeiten bei Kleidungs- und Schuhwahl
  • Schwierigkeiten zur Aufrechterhaltung der persönlichen Hygiene
  • Psychosoziale Aspekte (z.B. soziale Isolation, Machtlosigkeit, Energiemangel, Sorgen, Frustrationen, Mangel an Selbstwertgefühl, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Trauer, Depression, Gefühl des Kontrollverlustes)

3. Vorhandene wundbezogene Hilfsmittel z.B. Kompressionsstrümpfe, Orthesen, druckreduzierende Matratzen

4. Selbstmanagementkompetenzen von Patient/in/Bewohner/in und Angehörigen

  • zum Umgang mit Einschränkungen (siehe oben)
  • zur Wunde und Verbandwechsel (z.B. Wundgeruch, Schmerzen beim Verbandwechsel)
  • Erhalt von Alltagsaktivität (z.B. Einkaufen, Hobbys, spazieren gehen)
  • Krankheitsspezifische Maßnahmen
    • Entstauende Maßnahmen
      • Kompression (Anziehen, Pflegen, Umgang mit kompressionsbedingten Beschwerden)
      • Aktivierung des Sprunggelenks und der Muskelpumpe
      • Hochlegen der Beine
    • Fußpflege und -inspektion
    • Präventive Maßnahmen bei Diabetischem Fußsyndrom:
    • z.B. Fußpflege, -inspektion, Umgang mit Schuhen
    • Druckentlastung der Wunde
      • Hilfsmittel (z.B. Orthesen, Matratzen, Kissen)
      • Bewegungsförderung/Umlagerung
    • Hautschutz, Hautpflege
    • Ernährung, Gewichtsreduktion (z.B. Nahrungsbeschaffung, Ernährungsgewohnheiten)
    • Blutzuckereinstellung
    • Raucherentwöhnung

Neben den oben genannten Kriterien zur Einschätzung der wund- und therapiebedingten Einschränkungen sowie der Selbstmanagementkompetenzen muss die Pflegefachkraft eine qualifizierte Wundbeurteilung, -erfassung und -vermessung vornehmen. Da dies ein hohes Maß an Fachwissen und Erfahrung erfordert, empfiehlt der Expertenstandard eine Fachexpertin hinzuzuziehen. Von der Empfehlung eines konkreten Instruments wird abgesehen. Vielmehr sind folgende Kriterien geeignet in der vorliegenden Wunddokumentation berücksichtigt zu werden:

Kriterien für ein wundspezifisches Assessment

1. Medizinische Wunddiagnose

  • Grunderkrankung
  • Wundarten und Schweregradeinteilung der Wunde bzw. der Grunderkrankung
    • Dekubitus: European Pressure Ulcer Advisory Panel (EPUAP), National Pressure Ulcer Advisory Panel (NPUAP)
    • Ulcus cruris venosum: Einteilung der chronisch venösen Insuffizienz nach Widmer, Widmer (mod. N. Marshall), CEAP-Schema (Clinical condition, Etiology, Anatomic location, Pathophysiology)
    • Ulcus cruris arteriosum: Schweregrad der Symptome Fontaine, TASC-Klassifikation, Rutherford
    • Diabetisches Fußsyndrom: Wagner-Armstrong
  • Bisherige diagnostische und therapeutische Maßnahmen

2. Wundlokalisation Grafisch und verbal

3. Wunddauer

4. Rezidivzahl

5. Wundgröße

  • größte Länge (cm)
  • größte Breite (cm)
  • Tiefe (cm)
  • Taschen, Fisteln, Unterminierung: Länge, Ausrichtung nach Uhr

6. Wundgrund/häufigste Gewebeart

  • Granulationsgewebe, Fibringewebe, Epithelgewebe
  • Nekrose
  • Muskel, Faszie, Sehne
  • Knochen
  • Fettgewebe
  • Dermis

7. Exsudat/Transsudat Quantität: z.B. klein, wenig, mittel, viel Qualität: z.B. trübe, serös, blutig

8. Wundgeruch

  • Ja/nein

9. Wundrand

  • z.B. intakt, nekrotisch, unterminiert, wulstig, mazeriert

10. Wundumgebung

  • z.B. Rötung, Schwellung, Mazeration, trockene Haut, Feuchtigkeit, Farbe, Wärme

11. Infektionszeichen

12. Wund- bzw. wundnaher Schmerz

Abschließend sollen aus der Dokumentation die individuellen wund- und therapiebedingten Einschränkungen der Lebensqualität, die Kenntnisse und Fähigkeiten der Betroffenen und Angehörigen in Bezug auf den Umgang mit der Wunde und der damit verbundenen Einschränkungen hervorgehen. Auf Grundlage der oben abgebildeten Kriterienliste für ein wundspezifisches Assessment sind Angaben zur Grunderkrankung sowie Art und Zustand der Wunde enthalten. Außerdem soll aus der Dokumentation hervorgehen, in welchem Umfang eine pflegerische Fachexpertin eingebunden ist.

Kriterienbereich 2: Erstellung eines Maßnahmenplans

Standardaussagen:

  • S 2: Die Pflegefachkraft verfügt über aktuelles Wissen zur Behandlung wundbedingter Einschränkungen, zu krankheitsspezifischen Maßnahmen je nach Wundart (z.B. Bewegungsförderung, Druckentlastung oder Kompression), zur Wundversorgung, zur Grunderkrankung und zur Rezidiv- und Infektionsprophylaxe sowie zum Hautschutz.
  • P 2: Die Pflegefachkraft plant unter Einbeziehung der beteiligten Berufsgruppen gemeinsam mit den Patienten/Bewohnern und ihren Angehörigen Maßnahmen zu folgenden Bereichen: wund- und therapiebedingte Beeinträchtigungen, wundspezifische Erfordernisse, Grunderkrankung und Rezidivprophylaxe, Vermeidung weiterer Schäden, Umsetzen medizinischer Verordnungen.
  • E 2: Ein individueller, alltagsorientierter Maßnahmenplan, der die gesundheitsbezogenen Selbstmanagementkompetenzen der Patienten/Bewohnern und ihren Angehörigen berücksichtigt, liegt vor.

Der von der Pflegefachkraft zu erstellende Maßnahmenplan soll Angaben zur fachgerechten Wundversorgung und zu den mit der Wundsituation einhergehenden Belastungen und Einschränkungen enthalten. Er ist – soweit möglich – mit dem Betroffenen selbst sowie den am Versorgungsprozess beteiligten Akteuren (wie Angehörigen) gemeinsam abzustimmen. Dabei soll er die individuellen Selbstmanagementfähigkeiten der Patienten/Bewohner berücksichtigen sowie Angaben machen, wie sich die geplanten Maßnahmen in dessen Alltag integrieren lassen. Die Pflegefachkraft übernimmt für die geplanten Maßnahmen die Durchführungsverantwortung für die Wundversorgung. Diese Durchführungsverantwortung bezieht sich auf:

  • Infektionsprävention und -bekämpfung
  • Débridement (außer chirurgisches)
  • Wundreinigung
  • Anlage der Wundauflagen
  • hygienische Durchführung der Wundversorgung
  • sachgerechten Verbandwechsel geeignete Hautschutzmaßnahmen
  • Infektionsprävention und -bekämpfung
  • Débridement (außer chirurgisches)
  • Wundreinigung
  • Anlage der Wundauflagen
  • hygienische Durchführung der Wundversorgung
  • sachgerechten Verbandwechsel
  • geeignete Hautschutzmaßnahmen

1. Maßnahmen zum Umgang und zur Vermeidung von wund- und therapiebedingten Beeinträchtigungen

Schmerzen

Maßnahmen der Wundversorgung können schmerzhaft sein (z.B. die Bewegungsförderung bei Betroffenen mit Dekubitus). Die Patienten/Bewohner müssen über möglicherweise schmerzhafte Maßnahmen informiert werden. Diese sollten dann im Idealfall schmerzfrei bzw. schmerzreduziert durchgeführt werden. Dies kann zum Beispiel durch die präventive Gabe von Schmerzmitteln im Vorfeld von schmerzhaften Interventionen gewährleistet werden. Wichtig ist hierbei, dass die Ursachen für die Schmerzen identifiziert und entsprechend therapiert werden – nur so kann eine optimale Schmerzlinderung sichergestellt werden.

Mobilitätseinschränkungen

Um Mobilitätseinschränkungen zu erkennen und entsprechend zu intervenieren, müssen drei Ebenen möglicher Ursachen betrachtet werden:

  • Es müssen ggf. Mobilitätseinschränkungen ursächlich behandelt werden, z.B. durch Schmerzbehandlung oder eine passende Schuhwahl.
  • Es müssen ggf. Maßnahmen zum Erhalt der Mobilisation eingeleitet werden, z.B. durch Spezialschuhe, Orthesen oder Gipsverbände.
  • Es müssen ggf. mit der Therapie einhergehende Mobilitätseinschränkungen kompensiert werden, z.B. können sich diese aus eingeschränkten sozialen Kontakten, eingeschränkten Einkaufsmöglichkeiten etc. ergeben.

Wundgeruch

Der Expertenstandard empfiehlt, Wundgerüche ursächlich anzugehen, z.B. durch die Bekämpfung von Infektionen oder durch häufigere Verbandwechsel. Es gibt zwar keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass Aktivkohle Gerüche bindet, allerdings zeigt die praktische Erfahrung, dass deren Einsatz wirksam ist. Grundsätzlich wird von der Anwendung von Duftstoffen o.ä. abgeraten. Sie sorgen nicht dafür, dass der Geruch reduziert wird, sondern erzeugen eher eine noch unangenehmere Duftmischung.

Betroffene empfinden es als hilfreich, wenn bezüglich des Wundgeruchs und auch der damit einhergehenden Maßnahmen eine wertschätzende – auch nonverbale – Kommunikation erfolgt.

Verstärktes Wundexsudat

Grundsätzlich ist es wichtig, dass Betroffene über die Hintergründe der Entstehung von Wundexsudat aufgeklärt werden. Häufig befürchten Patienten/Bewohner, dass das Wundexsudat durch einen Kompressionsverband in den Körper zurückgedrückt wird. Die Entwicklung von verstärktem Wundexsudat sollte durch Ursachenbekämpfung behandelt werden (z.B. durch Infektionstherapie). Außerdem empfiehlt es sich, stark aufsaugendes Verbandmaterial zu verwenden, bzw. bei dicken Verbänden auf eine angepasste Kleidung zu achten (z.B. weite Hosen, dunkle Strümpfe).

2. Krankheits- und wundspezifische Maßnahmen zur Wundheilung

Druckentlastung bei Betroffenen mit Dekubitus

Bei Betroffenen mit Dekubitus ist darauf zu achten, dass kein Druck auf diesen ausgeübt werden darf. Die Patienten/Bewohner sollten weder auf der Wunde sitzen noch liegen. Individuell geeignete Maßnahmen zur Druckentlastung sind einzuleiten.

Nicht geeignete druckentlastende Hilfsmittel sind – wie im Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ beschrieben – Sitzkissen, Wasserkissen oder Schaffelle. Diese sind nicht anzuwenden.

Bei Betroffenen mit Diabetischem Fußsyndrom hat die absolute Druckentlastung des Fußes oberste Priorität. Pflegefachkräfte haben vor diesem Hintergrund die Aufgabe, Betroffene über Risiken wie das Tragen schwerer Lasten oder Auswirkungen von Stürzen aufzuklären. Es ist darauf zu achten, dass die Schuhe an beiden Füßen über ein gleiches Sohlenniveau verfügen.

Bewegungsförderung

Bei Menschen mit Dekubitus stehen hier vor allem individuelle Bewegungsintervalle sowie reibungs- und scherkräftearme Mobilisation und Transfers im Vordergrund. Menschen mit Diabetischem Fußsyndrom sollten im Idealfall nur wenig gehen oder laufen. Bei abgeheiltem Fußulcus ist abzuklären, ob unter Umständen ein Gehtraining mit reduzierter Intensität sinnvoll ist. Aufgrund der Erkrankung und der oft damit einhergehenden verminderten Sensibilität haben Patienten/Bewohner mit Diabetischem Fußsyndrom oft einen unsicheren Gang oder Stand. Zur Vermeidung von Stürzen ist in diesem Fall eine Gangschulung empfehlenswert.

Ein Ulcus cruris venosum sowie ein Ulcus cruris mixtum ist oft mit einer Fehlfunktion der Wadenmuskulatur sowie reduzierte Bewegungsmöglichkeiten des Sprunggelenks verbunden. Betroffenen wird deswegen ein kontrolliertes Gehtraining unter Kompressionstherapie zur Vermeidung von Sprunggelenksversteifung und zur Aktivierung der Wadenmuskelpumpe empfohlen.

Patienten/Bewohner mit Ulcus cruris venosum und Ulcus cruris mixtum sollten pro Tag mindestens 30 Minuten Übungen zur Förderung und Erhaltung der Sprunggelenksbeweglichkeit und der Aktivierung der Muskelpumpe durchführen. Maßnahmen können beispielsweise das Auf- und Abbewegen der Füße das Rotieren des Fußgelenks und auch das Gehen längerer Strecken sein. Ohne Kompressionstherapie hat das Hochlegen der Beine um 10 – 30 Grad über dem Herzen (Augenhöhe) eine positive Wirkung auf die Hämodynamik der Betroffenen. Bei angelegter Kompression ist diese Maßnahme allerdings kontraindiziert.

3. Kompressionstherapie bei Ulcus cruris venosum und Ulcus cruris mixtum

Zur Heilung des Ulcus cruris venosum und ggf. auch des Ulcus cruris mixtum ist die Kompression in Verbindung mit Bewegung die wesentliche therapeutische Maßnahme (dies trifft nicht beim Ulcus cruris arteriosum zu). Von zentraler Bedeutung sind hierbei allerdings die Qualität der Kompression sowie die Sicherstellung eines dauerhaften Tragens. So wird empfohlen, dass nur geschulte Pflegefachkräfte Kompressionsbandagen anlegen.

4. Ernährung

Eine optimale Ernährung trägt dazu bei, dass das Immunsystem gestärkt und somit das Risiko für Infektionen gesenkt wird. Der Expertenstandard empfiehlt deswegen, bei allen Betroffenen im Rahmen der pflegerischen Anamnese den Ernährungszustand zu erheben. Bei Patienten/Bewohnern, die darüber hinaus an Diabetes mellitus leiden, sollte zur Sicherstellung der Wundheilung der Blutzuckerspiegel optimiert werden. Weitere Aspekte zum Thema Ernährung in  Kapitel 3.

5. Wundversorgung

Eine phasengerechte feuchte Wundversorgung entspricht dem aktuellen Wissensstand. Dabei ist laut Expertenstandard folgendes zu beachten:

  • Die Auswahl der Wundauflage sollte nach den Kriterien Wundheilungsstadium, Wundlokalisation, Exsudatmenge, Infektionszeichen, Hautsituation, Schmerzen, Kontinenz sowie Kosten und Effektivität des eingesetzten Materials erfolgen.
  • Die Wundauflage sollte vom Betroffenen bequem zu tragen und somit akzeptabel sein.
  • Die Wundauflage sollte einfach handhabbar sein und nicht mit dem Wundgrund verkleben.
  • Die Verbandwechselfrequenz richtet sich nach der Wundsituation.

Der Expertenstandard weist explizit darauf hin, dass Pflegefachkräfte verpflichtet sind, ärztlich angeordnete Maßnahmen, die nicht dem aktuellen Wissensstand entsprechen, abzulehnen.

6. Rezidivprophylaxe

Unter Rezidivprophylaxe ist die Verhinderung der Neuentstehung einer Wunde zu verstehen. Der Expertenstandard verweist hier – in Bezugnahme auf bereits bestehende Leitlinien – auf folgende Maßnahmen:

Maßnahmen zur Verhinderung neuer Wunden

Bei Dekubitalgeschwüren

  1. Druckentlastung durch Lagerung
  2. Bewegungsförderung
  3. Förderung von Mikrobewegungen
  4. Einsatz druckreduzierender Hilfsmittel
  5. Hautpflege bedarfsgerechte Ernährung
  6. Bei Diabetischem Fußsyndrom
  7. passende Schuhwahl
  8. kontinuierliche Schuh- und Fußinspektion
  9. Fußpflege
  10. Vermeidung von Verletzungen Ernährungsberatung

Bei Ulcus cruris venosum

  • Lebenslanges Tragen von Kompression
  • Hautpflege
  • keine Selbstbehandlung durch frei verkäufliche Venenmedikamente
  • Vermeidung von Verletzungen
  • Vorstellung beim Arzt bei kleinsten Verletzungen
  • Bewegungstraining und Gehübungen
  • Hochlegen der Beine

Bei Ulcus cruris arteriosum

  • Raucherentwöhnung
  • Gewichtsreduktion
  • cholesterinarme Ernährung
  • Blutdruckoptimierung
  • Bewegungstraining
  • Medikamenteneinnahme

7. Hautschutz

Laut Expertenstandard bestehen keine wissenschaftlich belegten Erkenntnisse über die Wirksamkeit von speziellen Hautschutz und -pflegeprodukten. Bei der Hautpflege ist darauf zu achten, dass keine überflüssigen Waschungen durchgeführt, unnötige Verbandwechsel vermieden und grundsätzlich Verbandsmaterialien mit hoher Absorptionskraft verwendet werden. Selbstverständlich dürfen keine Materialien eingesetzt werden, auf die allergische Reaktionen folgen. Außerdem muss der Verbandwechsel für den Betroffenen atraumatisch durchgeführt werden.

Kriterienbereich 3: Koordinierung der eingeleiteten Maßnahmen

Standardaussagen:

  • S 3a: Die Pflegefachkraft verfügt über Steuerungs- und Umsetzungskompetenzen bezogen auf die Pflege von Menschen mit chronischen Wunden
  • P 3a: Die Pflegefachkraft koordiniert die inter- und intraprofessionelle Versorgung (z.B. durch Ärzte, pflegerische Fachexperten, Physiotherapeuten, Podologen und Diabetesberater).
  • S 3b Die Einrichtung stellt sicher, dass verordnete Hilfs- und Verbandmittel unverzüglich bereitgestellt werden und Materialien für einen hygienischen Verbandwechsel zur Verfügung stehen. Sie sorgt für eine den komplexen Anforderungen angemessenen Personalplanung.
  • E 3: Die koordinierten und aufeinander abgestimmten Maßnahmen sind fachgerecht umgesetzt, ihre Durchführung und Wirkung fortlaufend dokumentiert. Die Patienten/Bewohner und ihre Angehörigen erleben die aktive Einbindung in die Versorgung positiv.

Da die Pflegefachkraft über umfassendes Wissen sowie Kenntnisse über die individuelle Lebenssituation des Betroffenen verfügt, ist sie laut Expertenstandard in der Verantwortung, die Koordination des Versorgungsprozesses zu übernehmen. Sie hat dafür Sorge zu tragen, dass die inter- und intraprofessionelle Umsetzung der Maßnahmen sichergestellt ist. Dazu gehört z.B. die Planung von Therapiezielen, die Abstimmung der Schmerzmittelgaben oder die Zugänglichkeit zur Pflegedokumentation für alle an der Versorgung Beteiligten. Die Pflegefachkraft hat hier besonders darauf zu achten, dass es nicht zu einer Überforderung der Betroffenen kommt. Sie muss – insbesondere in der ambulanten Pflege – aufmerksam auf Überlastungshinweise achten, das heißt ggf. bei Patienten/Bewohnern und deren Angehörigen nachfragen, ob sie mit der Situation zurechtkommen.

Neben diesem unter den Beteiligten organisatorisch aufeinander abgestimmtem Vorgehen ist eine aussagekräftige Dokumentation notwendig, aus der vor allem die Maßnahmen der hygienischen Wundversorgung hervorgehen. In diesem Zusammenhang ist es die Pflicht der Pflegeeinrichtung, Strukturen vorzuhalten, dass notwendige Hilfs- und Verbandmittel nach Verordnung durch den Arzt zügig zur Verfügung gestellt werden können. Außerdem müssen von der Einrichtung Materialien bereit gestellt werden, die einen hygienischen Verbandwechsel ermöglichen (z.B. Desinfektionsmittel, sterile Instrumente oder Schutzkleidung).

Kriterienbereich 4: Schulung, Beratung und Anleitung

Standardaussagen:

  • S 4a: Die Pflegefachkraft verfügt über aktuelles Wissen und Kompetenz zur Beratung, Schulung und Anleitung zum gesundheitsbezogenen Selbstmanagement.
  • S 4b: Die Einrichtung stellt zielgruppenspezifische Materialien für Beratung, Schulung und Anleitung zur Verfügung.
  • P 4: Die Pflegefachkraft schult zu Wundursachen und fördert die Fähigkeiten der Patienten/Bewohner und ihrer Angehörigen zur Wundversorgung sowie zum Umgang mit wund- und therapiebedingten Einschränkungen durch Maßnahmen der Patientenedukation. Sie unterstützt die Kontaktaufnahme zu anderen Berufs-, Selbsthilfe- oder weiteren Gesundheitsgruppen (z.B. zur Raucherentwöhnung).
  • E 4: Die Patienten/Bewohner und ihre Angehörigen kennen die Ursache der Wunde sowie die Bedeutung der vereinbarten Maßnahmen und sind über weitere Unterstützungsmöglichkeiten informiert. Ihr gesundheitsbezogenes Selbstmanagement ist entsprechend ihrer undividuellen Möglichkeiten gefördert.

Damit Patienten/Bewohner und auch deren Angehörigen aktiv an den Maßnahmen der Wundversorgung beteiligt werden können, sind ihnen Beratung und Anleitung anzubieten. Mit den Schulungen soll erreicht werden, dass Betroffene bzw. deren Angehörige...

  • Ursachen der Wunde kennen.
  • Maßnahmen zur Wundbehandlung kennen.
  • Möglichkeiten zum Umgang mit wund- und therapiebedingten Einschränkungen kennen.
  • in der Lage sind, sich aktiv an Entscheidungen und Umsetzung der Pflege und Therapie zu beteiligen.
  • in ihrem Vertrauen und ihren Fähigkeiten zu einer zweckmäßigen Umsetzung der Pflege und Therapie gestärkt sind.

In der Pflegedokumentation sollten die Durchführung sowie die Inhalte der Schulungen vermerkt sein. Der MDK prüft dies ggf. im Rahmen seiner Qualitätsprüfung, insbesondere vor dem Hintergrund der Fragestellung, ob der Expertenstandard umgesetzt wurde.

Kriterienbereich 5: Evaluation der Wundentwicklung und der Maßnahmen

Standardaussagen:

  • S 5: Die Pflegefachkraft verfügt über die Kompetenz, den Heilungsverlauf der Wunde und die Wirksamkeit der gesamten Maßnahmen zu beurteilen.
  • P 5a: Die Pflegefachkraft beurteilt unter Beteiligung einer pflegerischen Fachexpertin in individuell festzulegenden Abständen innerhalb eines Zeitraums von ein bis zwei Wochen die lokale Wundsituation (Wiederholung des wundspezifischen Assessments).
  • P 5b: Die Pflegefachkraft überprüft spätestens alle vier Wochen die Wirksamkeit der gesamten Maßnahmen und nimmt in Absprache mit allen an der Versorgung Beteiligten gegebenenfalls Änderungen daran vor.
  • E 5: Anzeichen für eine Verbesserung der Wundsituation oder der durch die Wunde hervorgerufenen Beeinträchtigungen der Lebensqualität liegen vor. Änderungen im Maßnahmenplan sind dokumentiert.

Der Expertenstandard rät explizit dazu, bei der Beurteilung der Wunde und Evaluation der eingeleiteten Maßnahmen eine pflegerische Fachexpertin mit hinzu zu ziehen. Ein vollständiges Wundassessment sollte grundsätzlich in individuell festgelegten und regelmäßigen Zeiträumen (alle ein bis zwei Wochen) durchgeführt werden sowie nach jeder wundbezogenen Intervention wie z.B. nach Débridement oder bei Verschlechterung der Wundsituation.

Darüber hinaus sollten die eingeleiteten Maßnahmen spätestens alle vier Wochen von der zuständigen Pflegefachkraft evaluiert werden. Dabei soll geprüft werden, ob sich durch die eingeleiteten Maßnahmen die wund- und therapiebedingten Einschränkungen sowie die Wund- und auch die Lebenssituation gebessert haben. Dabei kann z.B. berücksichtigt werden, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, am sozialen Leben teilzunehmen (z.B. Besuche, Ausflüge, Teilnahme an Aktivitäten in der Einrichtung) und Aktivitäten des täglichen Lebens durchzuführen (z.B. Körperpflege, einkaufen, waschen, putzen).

Eine Änderung des Maßnahmenplans kann dann erforderlich sein, wenn:

  • sich die Wundsituation verschlechtert;
  • sich die Situation des Betroffenen nicht verbessert oder gar verschlechtert hat;
  • der Betroffene die geplanten Maßnahmen nicht unterstützt;
  • Behandlungsziele erreicht wurden und weitergehende Behandlungsschritte eingeleitet werden können.

Außerdem sollte evaluiert werden, ob die Zusammenarbeit der beteiligten Berufsgruppen erfolgreich war. Dies ist z.B. nicht der Fall, wenn sich der Betroffene durch eine Vielzahl von (Therapie-)Terminen in seiner Lebensgestaltung eingeschränkt fühlt.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Evaluation, ob das Wundmanagement zu einer Verbesserung der Wundsituation geführt hat. Dazu gehört auch die Verbesserung der Lebensqualität des Betroffenen. Auch diese soll durch die Evaluation erfasst und dokumentiert sein.

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