Zukunft der Pflege

Roboter als Pflegekräfte – eine faszinierende Vision. In Japan ist sie bereits Realität.

Im April stellten nun japanische Unternehmen Roboter vor, die gar in Nippons Pflegesektor zu Werke gehen. Ist das in Deutschland überhaupt vorstellbar? Und wo liegen die Chancen dieses faszinierenden, in Europa gleichwohl verstört wahrgenommenen Auswegs aus der personellen Pflegemisere?

Manche Klischees halten sich umso hartnäckiger, je älter sie sind. Zumal in Deutschland. Roboter als Handlanger der Industrie waren hierzulande schon immer gefürchtete Fabelwesen, die ihren Besitzern Profite und allen anderen die Arbeitslosigkeit bringen. Die derzeitige Diskussion um künstliche Intelligenz beweist, dass die Dynamik dieses unumstößlichen Trends noch immer außerhalb der Landesgrenzen stattfindet. Zu gefährlich. Und dass Japaner ihre grenzenlose Liebe zur Robotertechnologie schon mit der Muttermilch aufsaugen, ist ebenfalls eine Binse mit ewiger Geltung.

Bisher läuft noch die Testphase

Während in Deutschland noch Philosophen und Feuilleton-Redakteure die Stirn runzeln, präsentierte Japan die neueste Generation seiner Industrieautomation auf der Hannover Messe – dem wichtigsten internationalen Treff für Robotic- und Zukunftstechnologie. Die vorgestellten Modelle schrauben keine Automobile zusammen, wie man es weltweit kennt, sondern machen inzwischen auch im japanischen Pflegesektor offenbar eine gute Figur.

Ohne die Aufgeschlossenheit, Unvoreingenommenheit und technologische Begeisterung der Japaner wäre diese Entwicklung sicher kaum möglich gewesen. Denn die Akzeptanz der intelligenten Blechkameraden muss sowohl auf Anwender- als auch auf Patientenseite vorhanden sein. Noch befinden sich diese Pflegeroboter in der Testphase. Es wird aufregend sein, die daraus gewonnenen Erkenntnisse zu studieren und einen Blick auf die Zukunft der modernen Pflegedienstleistungen zu wagen.

Lange Automatentradition

Interessant ist der Hintergrund der Roboteraffinität im japanischen Kulturkreis. In der Edo-Zeit des 17. Jahrhunderts, als Shogune das Land beherrschten, bauten erfindungsreiche Handwerker aus einfachen Materialien hoch komplexe mechanische Puppen, die verschiedene menschliche Bewegungsabläufe imitieren konnten. Zum Amüsement der Herrschenden reichten diese Urformen der heutigen Roboter Tee, handhabten Pfeil und Bogen oder malten raffinierte kalligrafische Zeichen. Sogar ihre Gesichter zeigten die dazu passenden Emotionen.

Spannt man eine Brücke in die Neuzeit, ist es nur ein kurzer Schritt zu typisch japanischen Besonderheiten wie dem „Roboter-Hotel“ im Tokyoter Shopping-Viertel Ginza. Und sieht man vom auch bei uns bekannten Tamagotchi und anderen skurrilen Gadgets ab, dann wird schnell klar, dass die rasante Überalterung der japanischen Gesellschaft einen ernsten Anstoß für die Suche nach neuen Lösungen im Pflegebereich darstellt – und für die Erwägung, auch hierfür dem Homo Digitalis zu vertrauen.

Automatische Pflegekräfte mit menschlichen Zügen

Bei gleichbleibender Geburtenrate ist heute mehr als ein Viertel der Japaner über 65 Jahre alt. Es fehlen Arbeitskräfte, für die daher Roboterkollegen einspringen. Längst produzieren in Japan Roboter andere Roboter. Japanische Unternehmen sind Weltmarktführer in der Herstellung dieser Spezies, bedienen als Exporteure 52 % der globalen Nachfrage und schicken im Schnitt über 100.000 Roboter auf Überseereise.

Während Japan mit Deutschland in Bezug auf die Schlüsselbranchen – Automotive und Maschinenbau – im gleichen Boot sitzt, sind deutsche Unternehmen noch weit davon entfernt, konsequent auf diese Schlüsseltechnologie zu setzen. Wie aber muss man sich das im Pflegesektor konkret vorstellen? Sehr lebensnah und praxisbezogen: Japanische Pflegeroboter können ihren Schützlingen beim Aufstehen behilflich sein, sie ohne zu murren tragen, im Bett umdrehen oder mit speziellen Vorrichtungen gemeinsame physiotherapeutische Übungen absolvieren. Ältere Menschen in Japan sehen das zumeist ganz entspannt. Die Roboter vermitteln ein eher sympathisch-putziges Bild, haben menschenähnliche Gesichtsdesigns.

Kein Grund für Pessimismus

Wer die Zeichen der Zeit erkennt, dem muss bewusst sein, dass Industrie- und nun auch Pflegeroboter heute entwickelt werden, um den in vielen Industrieländern eklatanten Personalmangel aufzufangen. Eine Studie der Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) prophezeit, dass in 20 Jahren 18,4 % der Arbeitsplätze in Industrieländern von Robotern oder intelligenten Programmen ausgefüllt werden. Doch steht die Frage im Raum: Wie macht sich der künstliche Fabrikmonteur als Pflegedienstleister, der kein Werkstück am Fließband, sondern einen Menschen mit individuellen Ansprüchen vor sich hat?

Verfechter dieses neuen Weges weisen darauf hin, dass sich beim „Outsourcing“ von eher mechanisch gelagerten Leistungen mit Routinecharakter an intelligente Pflegemaschinen neue Freiräume für Zwischenmenschliches auftun werden. Dies würde bedeuten: Anstatt von Stress, Überlastung und Rückenproblemen geplagt zu sein, könnten sich Pflegekräfte auf eine tiefergehende, diskursive Weise zum Patientenwohl einbringen.

Positive Visionen entwickeln

Zwangsläufig wird sich auch im Pflegebereich ein Wandel vollziehen, der aber nicht notgedrungen, sondern konstruktiv sein kann. Dabei darf nicht vergessen werden, dass hinter jedem Roboter immer ein Mensch steht, der ihn ersonnen hat und auch kontrollieren wird. Zukunftsmusik? Manchmal schaffen die Umstände aus Eigendynamik eine neue Realität. Und warum sollte die nicht hoffnungsvoll sein, wenn neue Kollegen ohne Nerven und mit viel Zeit Einzug in einen ganz besonders von Personalnot betroffenen Sektor halten?

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