Pflegekräfte pflegsam behandeln

Wenn Pflegekräfte zu Krankheitsfällen werden – und wie die Politik gegensteuern will

Pflegekräfte sind starken körperlichen und psychischen Belastungen ausgesetzt. Das führt oft dazu, dass sie ihre eigene Gesundheit opfern müssen, um andere gesund pflegen zu können. Eine nicht hinnehmbare Situation! In Bayern gibt es nun ein neues Modellprojekt, das einen Ausweg aus der Krankheitsmisere unter Pflegekräften weisen soll.

Das Problem ist hinlänglich bekannt – und doch sind die Zahlen im aktuellen BKK- Gesundheitsatlas alarmierend: Nicht nur, dass ein Großteil der Beschäftigten im deutschen Gesundheitswesen ihre Arbeitsfähigkeit laut der bundesweiten Befragung als überdurchschnittlich schlecht bewerten, auch die meisten Fehltage durch Krankheit machen dem Gesundheits- und Krankenpflegesektor zu schaffen.

Kranksein als Teil des Berufsprofils

Die Untersuchung der BKK ermittelte konkret 41,5 Prozent von Befragten der Pflegeberufe, die ihre Arbeitsfähigkeit als negativ einschätzen. Zum Vergleich: Unter den neun Millionen Teilnehmern der Studie quer durch die Berufsgruppen sind es 23,5 Prozent, die diese Einschätzung teilen. Ein ins Auge stechendes Missverhältnis, das viel über den aktuellen Zustand im Pflegebereich verrät.

Was aber besonders ins Gewicht fällt, sind die häufigen Krankmeldungen. Während Berufstätige 2015 durchschnittlich 16 Fehltage hatten, sind es in Pflege- und Altenheimen rund 24 Tage je Arbeitnehmer. Hier gibt es regionale Unterschiede. Die AOK Bayern beispielsweise ermittelte für 2016 für die Pflegebranche den mit 6,45 Prozent bislang höchsten Wert beim Gesamtkrankenstand. Damit übertrifft dieser in Bayern den Durchschnitt um 1,8 Prozent. Mit anderen Worten: In keiner Branche erkranken so viele Beschäftige wie in den Pflegeberufen.

Frauen sind überdurchschnittlich oft betroffen

Zweifellos spielen psychische Belastungen bzw. Überlastungen eine große Rolle beim Zustandekommen solcher besorgniserregender Statistiken. Mit 4,6 Krankheitstagen (Quelle: BKK) sind Frauen in Pflegeberufen doppelt so häufig von psychischen Erkrankungen wie Neurosen und depressiven Zustandsbildern betroffen wie der Durchschnitt aller Arbeitnehmer.

Aber auch der körperliche Verschleiß einer alles andere als leichten physischen Tätigkeit macht sich bemerkbar – und dies vor allem mit Muskel-, Skelett- und Atemwegserkrankungen. Und wieder sind es überproportional häufig Frauen, die mit doppelt so vielen Fehltagen (7) an solchen Erkrankungen zu leiden haben.

Ein Fall von vielen

Die Süddeutsche Zeitung schilderte kürzlich einen Fall, der symptomatisch für viele ähnliche steht: Eine 45-jährige Pflegerin in einer bayerischen Pflegeeinrichtung musste sich arbeitsbedingt einer Knie-OP unterziehen lassen. Aus dem Krankenstand zurückgekehrt, wurde sie umgehend zur Pflege schwergewichtiger Heimbewohner eingesetzt, ungeachtet der ärztlichen Auflage, vorerst nichts Schweres zu heben. Im Alltagsstress können solche Fehlentscheidungen immer wieder einmal vorkommen. In der Summe führen sie aber unweigerlich zu dem gezeichneten Gesamtbild. Die betroffene Pflegerin machte gegenüber der Zeitung übrigens deutlich, dass sie ihren Beruf und die Arbeit mit den alten Menschen liebe.

Krankheitsursache Nummer eins: Stress

Was sind also die Ursachen für diese Entwicklung, wenn man davon ausgeht, dass viele Pflegerinnen und Pfleger über eine hohe Motivation verfügen und zu ihrem Job stehen? Hauptkrankheitsfaktor ist eindeutig Stress. Man kann sagen, dass die Mehrzahl der körperlichen und psychischen Beschwerden letztlich darauf zurückzuführen ist. Denn auch der falsche Einsatz einer Pflegerin lässt sich mit Stress begründen, dem Vorgesetzte wie Mitarbeiter gleichermaßen ausgesetzt sind.

Verschiedene Online-Befragungen ermittelten als Auslöser von Stress ein Übermaß an Bürokratie, an Arbeitsverdichtung, Dokumentation und zu geringe Zeiten für den Dienst am Patienten. Wer die beiden Klassiker Personalmangel und Mobbing als übliche stressauslösende Verdächtige sieht, wird durch aktuelle Umfrage nicht bestätigt.

Sind Fehler in der Organisation schuld?

Die Gewerkschaft Verdi monierte unlängst ungünstige Arbeitsbedingungen in der Pflege. Nicht nur die Schichtarbeit sei eine Belastung an sich. Auch die obligatorischen Überstunden vieler Pflegekräfte würden zu einer angespannten Situation führen. Oft können Pausenzeiten nicht eingehalten werden, weil Mitarbeiter kurzfristig für Kollegen einspringen müssen.

Die DAK bemängelt überdies, dass Pflegekräfte mit spezifischen Tätigkeiten bei allen Patienten eingesetzt würden, statt für deren Gesamtbetreuung verantwortlich zu sein. Berufliche Qualifikationen würden vielfach nicht effizient genutzt oder falsch eingesetzt.

Pflegeleitungen und ihre Mitarbeiter werden sicher selbst noch die eine oder andere Mängelliste aufstellen können – doch würde wohl niemand behaupten, bei dem sehr intensiven pflegerischen Umgang von Mensch zu Mensch könnten sämtliche Probleme mit ein wenig gutem Willen einfach wegorganisiert werden.

Der Pflegebereich bringt von sich aus viele Faktoren mit, die Stress auslösen und unter bestimmten Umständen zu Erkrankungen bei Beschäftigten führen können. Wie aber lassen diese sich, wenn schon nicht völlig vermeiden, so doch zum Wohl von Pflegern und Patienten minimieren?

Ein bundesweit einzigartiges Modellprojekt

Die bayerische Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml (CSU) vertritt den Standpunkt, dass engagierte Pflegekräfte sehr wohl auch auf die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit achten können. Um sie dabei zu unterstützen, hat Bayern ein bisher in Deutschland einmaliges Modellprojekt für die körperliche und seelische Gesundheitsfürsorge von Pflegekräften gestartet.

Das Programm beinhaltet Entspannungs- und Trainingseinheiten sowie Seminare zu relevanten Themenbereichen wie Stressbewältigung und Stresserkennung. Um einen maximalen Effekt zu erzielen, wird das mit 200.000 Euro geförderte Projekt von der Ludwig-Maximilians-Universität München wissenschaftlich begleitet.

Vorerst werden 50 Pflegekräfte an dem Pilotprogramm teilnehmen – in Anbetracht von 100.000 Pflegebeschäftigten in ganz Bayern nur ein erster kleiner Schritt. Auf dem Gesundheitsplan stehen u. a. Yoga, Progressive Muskelentspannung, Qigong, Trainings zur Stärkung des Bewegungsapparats und theoretische Schulungen zum Umgang mit Stress. Jetzt bleibt abzuwarten, ob und wie sich diese Initiative aus der Politik bewährt. Aber es tut sich wenigstens was!

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