Leseprobe: Dekubitusprophylaxe

5 FACHKOMPETENZ PFLEGE: Professionelle Dekubitusprophylaxe Vorwort Die gute Nachricht zuerst: Nicht jeder Dekubitus ist automatisch ein Pflege- fehler. Es gibt immer wieder Situationen, in denen trotz größter Aufmerk- samkeit und sorgfältigster Pflege ein Dekubitus auftritt. Dieser Tatsache trägt auch der Nationale Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege (nachfolgend nur noch: Expertenstandard) des DNQP (Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (nachfolgend nur noch DNQP) Rechnung, auch wenn dort das Ziel definiert ist: Der Patient/Bewoh- ner hat keinen Dekubitus . Voraussetzung ist, dass Pflegende und Patienten die hauptsächlichen Risikofaktoren, die zu einem Dekubitus führen können, kennen, und wissen, wie diese Risikofaktoren zu beeinflussen, zu beheben oder gar zu vermeiden sind. Der aus Hilden stammende Wundarzt Wilhelm Fabry (1560-1634), der sich zeitgemäß auch Guilhelmus Fabricius Hildanus nannte, beschrieb in seinen „Observationes“ am Beispiel eines halbseitig gelähmten Patienten das damals noch „heißer Brand“ – eine Form des Gan- gräns – und bis in jüngere Zeit noch „Brand“ oder „brandige Wunde“ ge- nannte Krankheitsbild nebst Ursachen eindrucksvoll: „Es ist aber der Vernunft gemäß, dass nit der halbe Schlag oder Paralysis sondern das lange Ligen und Auslauffen des Harns die Ursach des Brands gewesen seye. Dann der Harn welcher ausgetröpfelt und wegen stethen Li- gens auf den Rucken erhitzt und scharpf geworden, hat die Haut schwierig gemacht, daher ist eine Entzündung un Zulauff der Feuchtigkeit entstan- den. Aber weil der Leib von den Lenden biß auf die Füße der Geister des Hirns oder Spiritus animalis und derowegen auch der Empfindlichkeit be- raubt war, so ist er schwer und unbeweglich worden von wegen des stethen Ligens auf dem Rucken und des schweren Gewichts des Leibes sind die hin- dere Backen steths gedruckt, erhitzt und von Excrementen befeuchtet wor- den, daher ist der heisse Brand kommen; Und darf sich niemand darüber verwundern, dann wir sehen gar oft in langwierigen Krankheiten, daß das Sterzbein allein schwierig sondern auch vom heissen Brand ergriffen wird, wie wir in der Observation des Ersten Hunderts weitläufiger mit einem Exempel erkläret haben.“ Als Ursache des Fersengangräns beschreibt Fabry: „Es kompt auch der Heisse Brand an die Versen (= Fersen – Anm.d.Verf.) wie ich für etlichen Jahren an dem Edlen und Ehrenwerten Henr. Balbani gesehen hab. Solches aber ge- schicht, wenn wegen eines Beinbruchs und dergleichen Schäden der Fuß lange Zeit und ohne Unterlaß aufrichtig im Bette gehalten wird. Dann durch solche Situation wird die Verse (= Ferse – Anm.d.Verf.) erstlich getruckt und zerknitschet und darauff folget Entzündung, Schmerz und Zufluß überflüs- siger Feuchtigkeit.“ Fabry benennt in beiden Fällen Faktoren, die auch heute noch in jeder Risi- koskala zu finden sind: Empfindungsstörung, Immobilität, Druck und Nässe. Es sollte noch über 400 Jahre dauern, bis Fabrys Theorien, die sich auf Beob- achtungen stützten, mit modernen bildgebenden Verfahren als zutreffend nachgewiesen werden konnten. Es bleibt die Erkenntnis: Geändert haben sich die Methoden der Behandlung und Prävention; der physiologische Sach- verhalt, der zum Entstehen des Dekubitus führt, sowie die entsprechenden Risiken sind unverändert. Eben weil sie unverändert sind, werden sie in dem vorliegenden Buch von verschiedenen Seiten beleuchtet, d.h. aus der Praxis

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