Leseprobe: Demenz und Beziehungsgestaltung

39 Fachkompetenz Pflege: Demenz und Beziehungsgestaltung Der person-zentrierte Ansatz betrifft alle Akteure (S1a; P1; E1a) Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn nur wenige Akteure eine person- zentrierte Haltung dem Menschen mit Demenz gegenüber einnehmen, und die übrigen sind weiterhin verwahrend (kustodial) oder aufgabenorientiert unterwegs. Die Devise lautet: alle oder keiner! Um nun eine person-zentrierte Haltung einem Menschen mit Demenz gegenüber einnehmen zu können, haben wir weiter oben einige Übungen zur Identifikation mit „weg vom Geist“ angeboten. ImWeiteren geht es uns nun darum, die Innenperspektive der betroffenen Personen mit Demenz, aber auch der anderen Akteure genauer zu beleuchten. Insbesondere gilt unser Interesse den Ursachen und Auswirkungen von Angst, Unsicherheit und Hilflosigkeit aufseiten der Personen mit Demenz. 4.1 Bedürfnisse von Menschen mit Demenz Gerade zu Beginn einer Demenz sind Betroffene oftmals allein mit ihren Problemen. Das liegt unter anderem daran, dass sie sich wegen ihrer zuneh- menden kognitiven Defizite schämen und sich daher noch nicht einmal den engsten Angehörigen anvertrauen. Wir leben nun einmal in einer innovati- ven und von Ratio geprägten Gesellschaft, in der ein kognitives oder psychi- sches Problem nach wie vor einen Makel darstellt. Dass die Betroffenen zu Beginn der Demenz nichts von ihrer Erkrankung merken würden, ist eine mittlerweile längst überholte Ansicht. Überdeut- lich erleben sie, dass die Welt immer fremder wird und ihre kognitiven Kom- petenzen zunehmend schwinden (vgl. hierzu Taylor 2008). Dieses Erleben löst Ängste und Peinlichkeitsreaktionen bei den Betroffenen aus. Warum ist das so? Neurologische und psychiatrische Erkrankungen wirken in unserer Gesellschaft stigmatisierend. Schnell werden im Volksmund Begriffe wie „verrückt“ oder „bekloppt“ benutzt. Dem Betroffenen werden viele weitere Attribute zugeschrieben wie z. B. „unselbstständig“ oder „unzurechnungsfähig“. Hieraus leiten dann unter anderem Familienange- hörige den Anspruch ab, den Betroffenen zu bevormunden. Diese Stigmati- sierung wird in Fachkreisen dann auch „ruinierte Identität“ genannt. Vom Verdacht zur Gewissheit Die Scham ist es dann auch, die den Betroffenen dazu bringt, dass er sich nicht mit seiner Not nahestehenden Personen anvertraut und sich zuneh- mend zurückzieht. Leider führt dieser Rückzug dazu, dass eine frühzeitige Diagnostik unterbleibt. Für den Menschen mit beginnender Demenz beginnt jetzt eine Zeit der Ungewissheit und des Vertuschens. Bei den meis- 4 4

RkJQdWJsaXNoZXIy ODQyNDg=