Leseprobe: Demenz und Beziehungsgestaltung

103 Fachkompetenz Pflege: Demenz und Beziehungsgestaltung Das erweiterte Palliativverständnis (S2a; P2) Eine Voraussetzung für Beziehungsgestaltung ist, dass die Person mit Demenz nicht unter quälenden Symptomen leidet. Diese zu erkennen und zu lindern ist Voraussetzung für und Ergebnis von Beziehungsgestaltung. Leider spart der Nationale Expertenstandard den Ansatz der Palliative Care gänzlich aus, obwohl diese von ihrem originären Anspruch her person-zent- riert war und ist. Diesen Aspekt wollen wir hier weiter verfolgen, in dem wir ein erweitertes Palliativverständnis vorstellen möchten, das längst greift, bevor die Finalphase beginnt. Hierbei orientieren wir uns an der Definition der WHO (Kostrzewa 2013: 7): „Gemäß der Definition der WHO ist Palliative Care das Lindern eines weit fortgeschrittenen, unheilbaren Leidens mit begrenzter Lebenserwartung durch ein multiprofessionelles Team, mit dem Ziel einer hohen Lebensquali- tät für den Patienten und seine Angehörigen.“ Beim aufmerksamen Lesen dieser Definition fällt auf, dass hier nicht auf die Sterbephase fokussiert wird. Auch wird hier keine zeitliche Frist für Pallia- tive Care gesetzt. Eine palliative Herangehensweise steht nicht in Konkur- renz zum heilenden (kurativen) Ansatz. Beide können parallel angewendet werden. Leider wird im Gesundheitswesen Palliative Care immer noch mit Sterbebe- gleitung, Schmerztherapie und Versorgung am unmittelbaren Lebensende gleichgesetzt. Nach unserem Verständnis greift diese Übersetzung viel zu kurz. Im Sinne der WHO-Definition können daher viele Demenzbetroffene und ihre Angehörigen schon weit vor der Sterbephase von einer palliativen Haltung und Ausrichtung durch die betreuenden Mitarbeiter profitieren (vgl. hierzu Gerhard et al. 2018). Aber selbst auf das Sterben bezogen muss Folgendes festgehalten werden: Neue Erhebungen zeigen, dass ca. 60 % der neuen Bewohner in Pflegehei- men innerhalb des ersten Jahres nach Heimeinzug versterben. Für Sie als Mitarbeiter bedeutet das, dass Sie immer weniger Zeit haben für die eigent- liche Beziehungsarbeit bezogen auf das Lebensende. Daher muss überlegt werden, wie Beziehungsarbeit in der Kürze der Zeit gelingen kann. Mittelpunkt der Beziehungsarbeit ist die Person In der Ausbildung zur Pflegefachkraft wird leider sehr häufig ausschließlich der Patient mit seinen Erkrankungen in den Mittelpunkt gestellt. Daher sehen wir auch nur Patienten und nicht Personen . Das wird häufig damit begründet, dass wir Pflege- und Betreuungsmitarbeiter nicht zu viel Nähe zum Betroffenen aufbauen sollen. Aber genau diese Nähe ist für eine gute Beziehungsarbeit notwendig. Ohne Nähe aufzubauen, können Sie als Mit- arbeiter nicht durch das Empfinden des Betroffenen berührt werden. Es geht somit nicht darum, eine professionelle Distanz zu wahren, sondern darum, eine professionelle Nähe eingehen zu können. 8 8

RkJQdWJsaXNoZXIy ODQyNDg=