Leseprobe: Demenz und Beziehungsgestaltung

4 Der person-zentrierte Ansatz betrifft alle Akteure 42 MENSCH UND MEDIEN Anleitung zur Ergründung von Ursachen für Angst 1. Schritt: Gibt es mögliche körperliche Ursachen? Da die Betroffenen bei fortgeschrittener Demenz nicht mehr differenziert ergründen können, was es mit dem unangenehmen Impuls auf sich hat, können körperliche Symptome bei ihnen Angstreaktionen auslö- sen, z. B. Schmerzen: Hier müssen Sie nun anhand der Nebendiagnosen, der Pflege „schmerzhafter“ Körperregionen oder zu beobachtender Schonhaltungen ergründen, was den Betroffenen quält. Die größte Wahrscheinlichkeit ist der Schmerz. Bei z. B. Pflegeheimbewohnern kann mit einer Wahrscheinlichkeit von über 80 % davon aus- gegangen werden, dass sie unter chronischen Schmerzen leiden. Legen Sie hierzu einen Schmerzbeobach- tungsbogen an, z. B. den BESD-Bogen. Auch können Sie einen Versuch (probatorisch) mit einem Schmerz- mittel mit dem Hausarzt absprechen bzw. dem Betroffenen seine Schmerzbedarfsmedikation geben. Auch Juckreiz kann als unangenehmer körperlicher Impuls Angst bei dem zu Pflegenden mit Demenz auslö- sen. Auch hier lohnt ein Blick in die Nebendiagnosen, z. B. bei Stoffwechselerkrankungen. Hier können nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Waschungen mit Obstessig, evtl. auch der Einsatz von Medikamen- ten, wie z. B. Antihistaminika, Linderung verschaffen. 2. Schritt: Liegen psychosoziale Ursachen für die Angst vor? Kann der Betroffene seine aktuelle Umwelt nicht einschätzen und verstehen, löst das ebenfalls bei ihm Angst aus. Insbesondere Veranstaltungen mit vielen Personen, aber auch persönliche Zurückweisung z. B. durch Mitbewohner in Pflegeheimen, löst Angst aus bzw. verstärkt diese. Zeigt einer Ihrer zu Pflegenden mit Demenz Angstreaktionen, sollten Sie zusammen mit Ihrem Team ergründen, was diesen Reaktionen vorausging. Bedenken Sie hierbei, dass die Betroffenen verlangsamt reagieren, sodass das eigentliche Ereignis schon mehrere Stunden zurückliegen kann. Mögliche psychosoziale Ursachen für Angst können z. B. sein: • Neue Bezugsmitarbeiter • Der Akzent einiger Mitarbeiter • Streit zwischen Familienangehörigen oder anderen Bewohnern • Großereignisse in Pflegeeinrichtungen, z. B. Sommerfest, Karneval oder Tag der offenen Tür • Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen (die nur kurzfristig zum Einsatz kommen) • Besuch von Angehörigen, die dann plötzlich nicht mehr auffindbar sind 3. Schritt: Auf welche Situationen hat der zu Pflegende schon vorher mit Angst reagiert? Die meisten Pflegeeinrichtungen legen für den zu Pflegenden Biografien an. Hier sollte unter anderem auf- geführt werden, wie der Betroffene früher Angst ausgedrückt und auf welche Situationen er zuvor mit Angst reagiert hat. Wichtig ist es für stationäre Einrichtungen, zu wissen, ob der Betroffene früher schon einmal in seinem Leben interniert war, z. B. Lazarett, Gefangenschaft, Arbeitshaus oder Gefängnis. Auch Ereignisse wie Ver- schüttung, Luftschutzbunker oder sexueller Missbrauch sollten in der Gesamtbetrachtung berücksichtig werden. 4. Schritt: Sind nicht-medikamentöse Maßnahmen bekannt? Pflegen Sie schon über einen längeren Zeitraum den Betroffenen, so sind Ihnen sicherlich nicht-medika- mentöse Maßnahmen, z. B. Handmassagen oder Aromapflege, bekannt, die ihn beruhigen und entspannen können. Nutzen Sie dieses Wissen auch bei Angstzuständen. Geben Sie das erworbene Wissen auch an die Angehörigen der Person mit Demenz weiter. 5. Schritt: Wie schätzen Angehörige die Situation ein? Unterschätzen Sie nicht die Beobachtungsgabe und das intuitive Einfühlungsvermögen der Angehörigen. Erfragen Sie bei ihnen, wie sie die Gesamtsituation einschätzen. Sollten biografische Angaben zu Entspan- nung und Beruhigung in Ihrem Team nicht bekannt sein, sollten Sie auch hierfür das Angehörigenwissen nutzen. Auf Angst sofort reagieren Angst ist ein existenzielles Empfinden und nimmt die komplette Person mit all ihrem Erleben vollkommen ein. Allein zu beschwichtigen z. B. mit „das wird schon wieder“, reicht selbstverständlich nicht aus. Wichtig ist, dass Sie

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