Leseprobe: Demenz und Beziehungsgestaltung

7 Fallarbeit als Steuerungswerkzeug 90 MENSCH UND MEDIEN Die modifizierte Serial-Trial-Intervention-Methode in sechs Schritten Schritt 1: Erfassung der körperlichen Bedürfnisse Messen Sie die Vitalzeichen (Puls, Blutdruck, Temperatur, Atmung, Blutzucker) und bitten Sie den Hausarzt, die Laborwerte über eine Blutentnahme und/oder eine Urinprobe zu bestimmen. So können mögliche Infektionsparameter in Blut und Urin ausgewertet werden. Beobachten Sie, ob der Bewohner auf Schmerz bei Bewegung reagiert (bedenken Sie z. B., dass ca. 85 % der Pflegeheimbewohner unter chronischen Schmerzen leiden. Studien zeigen aber deutlich auf, dass viele Bewohner mit Schmerzmitteln unterversorgt sind). Bedenken Sie in erster Linie folgende mögliche körperliche Ursachen für ein verändertes Verhalten bei der Person mit Demenz, z. B. • Schmerzen, • Juckreiz, • Übelkeit, • Unruhige Beine, • Harnwegsinfekte, • Verstopfung, • Lebensmittelunverträglichkeiten (eventuell Lactoseintoleranz), • Allergien, • etc. Zudem empfiehlt es sich, zu überprüfen, ob bekannte Krankheiten sich verschlechtert haben könnten oder neue sich entwickelt haben. Kontrollieren Sie anhand alter Krankenhausentlassungsbriefe oder alter Arzt- berichte, ob das Diagnoseblatt vollständig ist. Auch kann ein Medikamentencheck über die Apotheke veranlasst werden, z. B. mit einem gezielten Auf- trag an den Apotheker in Richtung „Juckreiz“. Schritt 2: Erfassung der psychosozialen Bedürfnisse Hier erheben Sie die Umgebungseinflüsse auf Ihren zu Pflegenden, wie z. B.: • Liegt mitunter ein Reizüber- oder -unterangebot vor? • Haben sich wesentliche Betreuungspersonen geändert? • Erforschen Sie, ob Sie konkrete Auslöser für das Verhalten benennen können. • Beobachten Sie, wie Ihr zu Pflegender auf Zuwendung reagiert, um dahingehend einen Mangelzustand auszuschließen. • Nicht erkannte Trauerreaktionen können ebenfalls als „herausfordernde Verhaltensweise“ • fehlinterpretiert werden. • Überlegen Sie, ob das gezeigte Verhalten der Person mit Demenz als bindungsuchendes Verhalten inter- pretiert werden kann. Zudem kann in der Biografie nachgeschaut werden, wann der Betroffene früher ein ähnliches Verhalten gezeigt hat oder ob es traumatische Erlebnisse gab, die durch die heutige Situation ausgelöst werden (z. B. Gefangenschaft, Kinderlandverschickung, Kinderheim, Arbeitshaus, verschüttet gewesen etc.). Bedenken Sie, dass diese Überlegungen nicht vollständig sind und je nach Situation des Betroffenen wei- tere Aspekte geprüft werden müssen. Schritt 3: Formulieren Sie eine Verstehenshypothese Aufgrund Ihrer Informationssammlung und der Interpretation aus Schritt 1 und 2 wird nun gemeinsam eine Verstehenshypothese formuliert. Sie soll folgende Fragen beantworten helfen: • Warum zeigt der Betroffene das Verhalten? • Was sind die Ursachen für sein Verhalten? • Was möchte er „uns“ mit diesem Verhalten sagen? • Was möchte er, dass wir tun? Achtung : Bedenken Sie, dass diese Verstehenshypothese nur eine Mutmaßung über das gezeigte Verhal- ten ist. Es kann auch sein, dass Sie mit Ihrer Interpretation völlig falsch liegen. Schritt 4: Einleitung von nicht-medikamentösen Maßnahmen Aufgrund der Verstehenshypothese werden nun einzelne Angebote und Maßnahmen für die Person mit Demenz organisiert und eingeleitet. Versuchen Sie zunächst, die Ursachen mit nicht-medikamentösen Maß- nahmen zu lindern. Da viele Betroffene mit Demenz oftmals Angst und Unsicherheit über Unruhe und bin- dungsuchendes Verhalten ausdrücken, sollten erst einmal Maßnahmen in diese Richtung entworfen wer- den.

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